Warum Rituale wichtig sind

Der Begriff des Rituals ist manchmal ein wenig negativ besetzt. Er klingt so nach Zeremonien, nach festgefahrenen Abläufen, denen wir uns aussetzen. Doch wenn wir einen Schritt von uns selbst zurücktreten, dann merken wir, dass wir selbst tagaus, tagein eine Menge Ritualhandlungen vollziehen, und erst, wenn diese nicht mehr möglich sind, offenbart sich, wie wichtig uns diese Bräuche in Wahrheit sind. In diesem Beitrag erfahren Sie, warum wir diese Rituale unbedingt benötigen und wie sie den Alltag prägen.

Ob man es glaubt oder nicht: Kaum etwas prägt unseren Alltag so sehr, wie Rituale das tun. Man kann sogar noch weitergehen und behaupten, dass wir ohne unsere Rituale im Leben aufgeschmissen wären. Und dabei ist die Rede gar nicht von den großen Ritualen, die nur zu bestimmten Anlässen begangen werden, zum Beispiel Trauerfeiern – sondern von kleinen bis ganz kleinen täglichen Handlungen, die uns im Alltag Leitplanken sind.

Schon die Tasse Kaffee am Morgen kann ein Ritual sein, das uns guttut und hilft, in den Tag zu starten – auch wenn wir ausgeschlafen sind. Bildquelle: M.Radwan Radwan/

Dabei geht es gar nicht darum, dass wir uns diesen Riten zwangsweise hingeben, es würde natürlich auch ohne sie gehen. Kein Mensch braucht etwa seinen Kaffee am Morgen, um zu überleben, doch das schmackhafte Heißgetränk hilft vielen dabei, gut in den Tag zu starten. Und das ist essenziell wichtig, wenn wir tagsüber Leistung bringen müssen. Indirekt helfen uns Rituale also auch im Job. Darum

Rituale verleihen uns Sicherheiten

Wer jeden Morgen auf ähnliche Weise beginnt, tut das in der Regel nicht, weil es dabei um Zwangshandlungen geht, sondern um eine gewisse Routine, die uns in der eigenen Komfortzone hält. Die Komfortzone mag im (Berufs-)Leben nicht immer positiv assoziiert sein, im privaten Umfeld aber ist sie es, die uns Kraft gibt, Selbstvertrauen und Zuversicht. Wer sich mit seinem Ritual unwohl fühlt, wird es schnell fallenlassen, man quält sich schließlich nicht freiwillig mit irgendwas herum.

Hören Sie morgens immer den gleichen Radiosender? Nehmen Sie meistens den gleichen Bus ins Büro, den um 7:49 Uhr? Wollen die Kinder zum Frühstück stets Toast mit Käse und dazu eine Tasse heißen Kakao? Dann sind Sie und die Familie auch von Ritualen geprägt. Und die fühlen sich bestimmt gut an.

Auch die Tennisstunde am Mittwoch und das Wochenendbier im Freundeskreis sind Bräuche, die ihrem Alltag eine gewisse Struktur verleihen. Doch machen wir uns darüber kaum noch Gedanken, wozu auch, das alles ist doch Normalität, oder? Das trifft den Nagel zwar irgendwo auf den Kopf, aber trotzdem sind genau das Ihre Rituale.

Auch der Blick in die Zeitung, während man auf die U-Bahn wartet, die uns zum Arbeitsplatz bringt, ist letzten Endes ein Ritual. Bildquelle: Pxfuel

Die Frage aber bleibt: Wieso sind Rituale so wichtig? Sind es nicht nur Gewohnheiten, die man auch wieder ablegen kann? Diese Umschreibung würde dem Ritus selbst nicht gerecht werden, zudem klingt das Wort auch ein bisschen negativ. „Das ist eine schlechte Gewohnheit von ihm“ oder „diese Angewohnheit solltest du dir wieder ablegen“, das sind so Sätze, die im Ohr klingen, wenn es um den Begriff geht. Ein Ritual aber umfasst viel mehr, in Wahrheit ist es ein Anker im Leben, den man an mehreren Stellen ausgeworfen hat und der uns Stabilität verleiht.

Entlang dieser Ankerpunkte richten wir unser Leben aus – nichts weniger. Der Mensch braucht diese geregelten Abläufe, um sich auf sicherem Terrain zu bewegen. Manchen genügen wenige Rituale wie die Marmelade auf dem Frühstücksbrötchen, um sich sicher zu fühlen, andere fahren jedes Jahr zur gleichen Zeit in den Urlaub mit dem gleichen Ziel, um für sich selbst eine Struktur festzuzurren.

Gut, Rituale verschaffen uns Sicherheit. Doch warum benötigen wir Sicherheit? Der Mensch strebt stets nach Neuem, nach dem noch Unbekannten, oder etwa nicht? Das ist nur bedingt richtig, denn das Individuum sehnt sich nach Geborgenheit. Es sehnt sich danach, alles unter Kontrolle zu behalten, und das funktioniert am besten in einer Komfortzone, in der wir uns mit Ritualen umgeben. Dort möchten wir keine uns unbekannten Dinge um uns haben, keine Veränderungen und erst recht keinen Stress. Wenn uns etwas altbekannt ist, dann muss das nicht langweilig oder spießig sein, sondern ein Punkt, an dem wir uns wohlfühlen. Das Leben wird einfach an diesem Punkt, und diese Einfachheit ist es, die uns hilft, gerade weil wir da draußen im Job einer Menge Stress ausgesetzt sind.

Besonders guten Halt geben Rituale übrigens in Krisenzeiten. Wenn es uns nicht gut geht, brauchen wir diesen Ort der Sicherheit erst recht. Unnötige Belastungen stören dann noch mehr als sonst, und das verbreitet ein Gefühl der Unsicherheit. Als ob die Kontrolle verlorengeht.

Rituale für sich bewusst eingehen

Ist ein Ritual nur ein Ritual, wenn wir nicht darüber nachdenken, sondern es einfach erleben oder mit uns geschehen lassen? Nein, das wäre zu kurz gesprungen. So, wie man offen über seine Wünsche sprechen darf, sofern das nicht zu Lasten anderer Menschen geht, so darf man auch Rituale bewusst gestalten und ausleben. Wie weiter oben bereits beschrieben: Ihr Ritual muss gar nichts Besonderes sein. Wenn es Ihnen genügt, zwei Mal die Woche für eine Stunde spazieren zu gehen, dann ist das ebenso ein Ritual wie das jährliche Entspannungswochenende, an dem Sie ganz allein in ein Hotel mit Spa fahren und mal so richtig abschalten.

Auch das Ritual „Stammkneipe mit Freunden“ ist ein gutes Ritual, wenn man dabei abschaltet vom Alltag und sich in seiner Ankerzone wohlfühlt. Bildquelle: vedanti/Pixabay

Viele Menschen finden auch im Lesen ein schönes Ritual. Sie betreten ihre Ankerzone, wenn sie am Abend ein gutes Buch in die Hand nehmen und entspannt darin schmökern. Tun Sie, was Ihnen guttut, das ist wichtig. Und wenn es der Kneipenbesuch mit dem besten Freund ist, um ganz ungeniert einfach mal zwei Stunden bei einem Bier über Fußball zu sprechen. Wenn Sie das regelmäßig tun und genießen, dann ist auch das ein Ritual, das Ihnen einen Anker im Leben bietet.

Rituale für den Alltag

Feste Strukturen können gerade morgens Halt geben und uns helfen, in die Gänge zu kommen. Ob es nun der Kaffee ist, wie vorhin erwähnt, oder ein kurzer Spaziergang zum Bäcker und zurück, um den Kreislauf anzuregen: Erlaubt ist, was gefällt, natürlich immer nur, wenn die Menschen in Ihrer Umgebung nicht darunter leiden. Ob Sie nun noch im Schlafzimmer meditieren wollen, bevor es hinausgeht in die (vermeintlich) feindliche Welt, bleibt Ihnen völlig selbst überlassen, sofern Sie darüber nicht vergessen, den Kindern ein Frühstück zu bereiten.

Für den Abend gilt das übrigens genauso, besser gesagt vor dem Schlafengehen. Schaffen Sie es, den Abend zu genießen, ohne an den Job zu denken? Zugegeben, das klappt nicht immer, aber wenigstens sollten Sie der Versuchung widerstehen, zu später Stund‘ noch einmal den Laptop aufzuklappen und nachzusehen, ob die erwartete Kundenmail endlich angekommen ist. So schalten Sie nicht ab – also behelfen Sie sich mit Riten. Lesen Sie fesselnde Bücher oder schlagen Sie die Zeitung auf, wenn Sie Ablenkung benötigen, oder schauen Sie einen Film.

All das sind Rituale, die zur Entspannung beitragen. Dimmen Sie das Licht schon einige Zeit, bevor Sie zu Bett gehen, und auch den Fernseher schalten Sie rechtzeitig vor dem Schlafengehen aus. Helles Licht hält Sie künstlich wach. Wenn Sie Schwierigkeiten damit haben, am Abend den Absprung in Richtung Bett zu finden, weil Sie im müden Zustand zu faul sind für die abendliche Hygiene und diese vor sich herschieben, dann machen Sie sich doch „bettfertig“, solange Sie noch nicht zu müde dafür sind. Dann können Sie nämlich unmittelbar zu Bett gehen, wenn die Müdigkeit Sie übermannt. Ein äußerst hilfreiches Ritual.

Wer die abendliche Hygienehürde rechtzeitig meistert und sie nicht hinauszögert, geht oft entspannter und früher ins Bett. Bildquelle: slavoljubovski/Pixabay

Denken Sie mal daran, wie wichtig abendliche Rituale für jüngere Kinder sind! Nach dem Abendbrot gibt’s das Sandmännchen, dann werden die Zähne geputzt und anschließend liest Papa oder Mama noch ein Buch vor im Bett. Dieser feste Ablauf ist enorm wichtig für Kinder, um gut in den Schlaf zu finden. Und im Erwachsenenalter ist das im Prinzip immer noch so.

Rituale für den Job: richtig Pause machen

Sicher pflegen Sie auch in beruflichen Dingen eine Menge Riten. Das kann gern so bleiben und ist wichtig. Deswegen soll es in diesem Abschnitt nun darum gehen, wie Sie Rituale entwickeln, um zu guten und erholsamen Pausen zu kommen. Dabei ist zu beachten, dass auch hier jeder Mensch andere Bedürfnisse hat.

Nur Pausen, in denen Sie für sich richtig abschalten können, sind erholsam. Entwickeln Sie ein Ritual für Ihre persönliche Arbeitsunterbrechung. Bildquelle: manfredsteger/Pixabay

Vielleicht gehen Sie ja schon seit Jahren und aus Gewohnheit mit den einen oder anderen Kolleginnen und Kollegen zum Mittagessen – und haben dazu eigentlich gar keine Lust? Da sind Sie sicher nicht allein, denn viele Menschen möchten zwischendurch mit ihren Gedanken auch mal für sich sein. Und selbst, wenn man sich vornimmt, mit den Kollegen bei Tisch nicht über dieses Projekt oder jenen Kunden zu sprechen: Irgendeiner im Kreis beginnt doch immer mit diesem Thema, es lässt sich einfach nicht vermeiden.

Sicher, nicht immer kann man sich herausziehen aus einer solchen Runde, und klare Ansagen, auch mal Zeit für sich zu benötigen, könnten im Kollegenkreis schnell falsch verstanden werden. Rasch gilt man als Eigenbrötler. Gute Kollegen reagieren aber sicher mit Verständnis, wenn Sie sagen, dass Sie für sich abschalten müssen in der Mittagspause. Dafür können Sie vielleicht die kürzeren Kaffeepausen am Tag im Kreis der Kollegen verbringen.

Überlegen Sie also, was Ihnen für den Rest des Arbeitstags Kraft gibt. Gehen Sie allein zum Essen und nehmen Sie sich ein Buch oder die Zeitung mit, dabei können Sie wunderbar in andere Welten eintauchen. Oder unternehmen Sie einen Spaziergang an der frischen Luft, um auf andere Gedanken zu kommen – der Sauerstoff und die Bewegung sind dafür äußerst zuträglich.

Rituale im Kreise der Familie

Wie eingangs bereits beschrieben, müssen Rituale nichts Besonderes sein. Wer sich zu viel vornimmt oder die Messlatte zu hochlegt, ist am Ende nur enttäuscht, und das gilt auch für Rituale im Familienkreis. Man muss nicht groß denken, um Qualitätszeit miteinander zu haben, es sind die kleinen Freuden des Alltags, die dazu führen, dass sich alle Familienmitglieder wohlfühlen und eine eigene Komfortzone haben.

Miteinander Zeit verbringen, Spiele spielen, kuscheln, lesen, auf den Spielplatz gehen, gemeinsam essen – Rituale, die für Familien wichtig sind. Bildquelle: Merio/Pixabay

Gerade mit Kindern ist es nötig, halbwegs feste Abläufe zu haben, das gibt uns selber Sicherheit und den Kindern auch. Überlegen Sie, wie Sie Rituale pflegen können, ohne einen großen Mehraufwand betreiben zu müssen! Kindern mutet es vielleicht etwas seltsam an, wenn Sie damit beginnen, sie jeden Tag nach ihrem Wunschgericht zu fragen und dieses zu kochen. Nein, es genügt vollkommen, wenn man sich die Zeit nimmt, als Familie mindestens eine Mahlzeit am Tag zusammen einzunehmen; idealerweise am Abend, wenn man sich gegenseitig von den Erlebnissen erzählen kann.

Und auch, wenn man als Elternteil abgespannt und müde ist, helfen Rituale – denn sie kosten nicht viel Kraft. Gehen Sie gemeinsam mit der Familie nach draußen, etwa auf den Spielplatz, spielen Sie im Park mit den Kindern oder machen Sie eine kleine Fahrradtour. Gemeinschaftsspiele sind schöne Rituale für alle Familienmitglieder, und auch ein gemeinsamer Fernsehabend in regelmäßigen Abständen ist ein schöner Brauch.

Auch der Umgang mit Freundschaften braucht Rituale

Wenn wir über unseren Umgang mit Ritualen nachdenken, vergessen wir leicht, dass unsere Mitmenschen diese Riten ebenso benötigen wie wir selbst. Darum sind Rituale ganz und gar nichts Egoistisches, sondern stellen vielmehr ein natürliches Bedürfnis dar. Bei Bräuchen, die Sie mit guten Freunden haben, dürfen Sie davon ausgehen, dass es den Gefährten genauso geht. Ganz gleich, ob Sie gemeinsam ein Fußballspiel ansehen, in die Cocktailbar gehen oder ins Kino.

Das Schlimmste, was liebgewonnenen Ritualen passieren kann, sind permanente Verschiebungen. Wer sich nur alle paar Wochen oder Monate verabredet, sollte den Termin rechtzeitig festlegen und schon etwas sehr Konkretes vereinbaren. Natürlich kann man mal krank werden, aber dann muss schnell ein Ersatztermin gefunden werden.

Einfacher ist es, wenn man sich ritualmäßig einmal im Monat trifft. Ein fester Termin zum Bowlingabend an jedem ersten Mittwoch im Monat prägt sich besser ein als ein loses „wir verabreden uns irgendwann per SMS“, den Bowlingtermin möchte schließlich keiner verpassen! Aber auch die Treffen zu zweit müssen festgeklopft werden. Machen Sie ein Ritual daraus, sich zu verabreden, es funktioniert zum Beispiel ganz gut, wenn einer eine kurze Nachricht schreibt: „Nächste Woche Dienstag oder Donnerstag auf ein Bier?“ Der andere sagt entweder zu – oder macht sofort einen Alternativtermin: „Nächste Woche keine Zeit – wie sieht es denn am darauffolgenden Dienstag aus?“ So spielt man sich immer den Ball hin und her und das nächste Treffen findet definitiv schon bald statt.

Zusammenfassung

Kein Mensch ist ohne Ritual – so viel steht fest. Auch Berufsreisende, die nur unterwegs sind und jeden Tag in einem anderen Hotelbett aufwachen, entwickeln Routinen am Morgen und am Abend, mit denen sie sich wohlfühlen. Denn genau darum geht es bei Ritualen: Wir brauchen sie, damit es uns gut geht.

Geht es uns emotional hingegen nicht gut, dann müssen wir in uns hineinhören und uns fragen, woran das liegt. Oft nämlich fehlen uns Anker im Leben, die wir durch Rituale schaffen. Dadurch entstehen Zonen der Geborgenheit, die Halt verleihen in bestimmten Situationen, etwa zuhause oder im Büro. Ein Ritual ist im Grunde eine Anweisung des Unterbewusstseins, uns in die Komfortzone zu begeben, in der wir Sicherheit und Gelassenheit finden. Kaum etwas prägt den Alltag mehr als das Ritual. Das merken wir am stärksten daran, wenn wir es mal nicht schaffen, ein Ritual einzuhalten, wenn das geplante Dienstagsbier ausfällt etwa oder wenn die Familie nicht gemeinsam speist. Denn es sind die kleinen Dinge, die wichtig sind.